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Die große Politik spendet großen Beifall

 

Die Macher der Sozialreformen feiern die Agenda 2010 als großen Erfolg. Mehr Eigeninitiative von Arbeitslosen, härtere Bandagen gegen Faulenzer und harte Strukturreformen hätten Deutschland wieder wettbewerbsfähig gemacht. Nur Jubel also?

   Zum zehnten Jahrestag fällt die Bilanz gemischt aus. Automobilmanager Peter Hartz entwickelte das Reformkonzept für den Arbeitsmarkt, stellte es am 16. August 2002 auf CD gebrannt vor, Kanzler Gerhard Schröder (SPD) hielt am 14. März 2003 seine Agenda-Rede und die Hartz-Gesetze folgten.Der damalige Arbeitsminister Clement ist voll des Lobes: Die Zahl der Erwerbstätigen sei noch nie so hoch wie heute und jeder noch so miese oder mies bezahlte Job sei schließlich besser als keine Arbeit. Nur die bürokratischen Exzesse würde er heute abmildern. Alt-Kanzler Schröder verlangt sogar eine Agenda 2020.  

Hart(z) aber fair - Faktencheck

Am 14. März 13 wurde das 10-jährige Jubiläum gefeiert.
Am 14. März 13 wurde das 10-jährige Jubiläum gefeiert.

Die Hartz-Gesetze genießen einen schlechten Ruf in der Bevölkerung.  Auf Montags-Demos protestierten die Menschen in 90 deutschen Städten gegen die rot-grüne Sozialreform.

   Was sagt der Faktencheck? In Summe entsteht keine neue Arbeit - sie wird nur umverteilt. Statt guter Arbeit, gibt es dauerhaft prekäre Jobs. Statt eines Trampolins in eine feste Stelle, gibt es Minijobs zum Billiglohn. Statt weniger Armut, gibt es mehr davon. Die Schere zwischen Arm und Reich wird in Deutschland weitet sich. Die Agenda 2010 und die Steuerpolitik der Bundesregierungen von Schröder bis Merkel haben die hohen Einkommen stark angehoben. Was war die zentrale Funktion der Agenda 2010? Sie wurde nicht nur erfunden, um Sozialmissbrauch zu bekämpfen und die Arbeitsverwaltung neu zu ordnen. Die Arbeitslosenversicherung wurde faktisch zerstört und die Anzahl der Menschen mit Niedriglöhnen explodierte. Die Agenda 2010 hat nachweisbar die Marktmacht der Gewerkschaften geschwächt.

   Was besagt der Faktencheck? Richtig ist - heute sind weniger Menschen arbeitslos gemeldet. Gleichzeitig wächst die Stille Reserve an. Viele melden sich nicht (mehr) beim Jobcenter und fallen aus der Statistik. Löhne und Sozialleistungskürzungen schmelzen ab, während Kapitaleinkünfte explodieren. Beschäftigte bekommen insgesamt weniger. Geringverdiener verlieren besonders stark. Nur die Besser- und Bestverdiener legen zu.

 

Vom Jobwunder zum Hungerlohnwunder

Das Minus bei den Arbeitseinkommen lässt sich an der Bruttolohnquote zeigen. Der  Anteil der Arbeitnehmer am Volkseinkommen schrumpfte zwischen 1995 und 2011 von 73,5 auf 64,7 Prozent. Das alles ist für Merkel ein Erfolg: Lohnstückkosten sind gefallen, Wettbewerbsfähigkeit haben sich verbessert. Das, was die Beschäftigten als Produktivitätsfortschritt erarbeiteten, konnten die Unternehmer rein rechnerisch als Profit einstreichen, weil der Anteil der Arbeitnehmerentgelte 2011 mit 66,7 Prozent niedriger lag als 2004 (67,9 Prozent). Bitter ist: Acht von 27,4 Mio. sozialversicherungspflichtig Beschäftigten sind mittlerweile befristet, atypisch, in Teilzeit oder Leiharbeit erwerbstätig und es gibt mehr Erwerbstätige. Aber die gesamte Lohnsumme ist geringer geworden.

Quelle: SOEP 2010, eigene Berechnungen

 

Die Niedriglohnquote liegt bei 23 Prozent. Der Negativtrend ließe sich nur rechtfertigen, wenn Geringverdiener tatsächlich bessere Chancen am Arbeitsmarkt hätten. Die "Brücke" in den Arbeitsmarkt hat sich indes als Lüge herausgestellt - statt eines Fahrstuhleffektes sind die Hartzreformen zur Drehtür geworden. Ein Großteil der Geringqualifizierten bleibt auf dem Abstellgleis, weil immer mehr gut qualifizierte Menschen in die Kleinjobs drängen. Übrigens: Nur 20,3 Prozent der Geringverdiener verfügt über keine Berufsausbildung (SOEP 2010). Die Absenkung des Lohnniveaus hat Geringqualifizierten also nicht viel gebracht. Der Anteil der Langzeitarbeitslosen an der gesamten Erwerbslosigkeit liegt in Deutschland mit 47,3 Prozent (2011) noch vor Spanien und Frankreich (je 40,5 Prozent) und weit hinter Dänemark (23) und Schweden (19,3 Prozent).

   Fazit: Schwarz-Gelb macht nichts gegen die unwürdig niedrigen Löhne, sorgt aber dafür, dass es noch höhere Kapitalgewinne gibt. Die Langzeitarbeitslosigkeit verfestigt sich. Immer mehr Menschen pendeln zwischen prekärer Beschäftigung und Arbeitslosigkeit. Sie schaffen es nicht in ein Normalarbeitsverhältnis, obwohl Löhne und Leistungen schon am unteren Ende angelangt sind. Soviel zur Jobwunder-Lüge der Niedriglohnpolitik.

   Mehr Informationen unter "Ten years after", sowie Faktencheck "Hart aber fair"

Was gibt es auf dieser Website?

Auf dieser Webseite erhalten Sie unabhängige Informationen zu den Hartz-Reformen.  "Es könnte auch klappen", war meine Anfangsmotivation. Die Ergebnisse meiner Recherchen und Studien ließen mich mit Zweifeln, aber nicht verzweifelt zurück. Daneben werden Sie im Jahresrückblick über aktuelle Neuigkeiten dieser Sozialleistung informiert (News).

Viel Spaß beim Stöbern!

Was sich 2013 ändert

Groschen werden gezählt
Groschen werden gezählt

Minijobs: Für über sieben Millionen Minijobber steigt die Verdienstobergrenze von 400 auf 450 Euro. Außerdem gibt es eine neue Regelung bei der Versicherungspflicht für die gesetzliche Rentenversicherung für Minijobs, die nach dem 1. Januar 2013 beginnen. Auf Antrag können sich die Betroffenen davon befreien lassen.

 

Die Unzufriedenheit mit dem eigenen Job wächst. Die Daten des Sozio-oekonomischen Panels belegen, dass die Flexibilität am Arbeitsmarkt für Arbeitnehmer sogar abgenommen hat. Der Mut, sich eine neue Stelle zu suchen, schwindet, wenn die Angst zunimmt, gar keinen Job mehr zu haben. Auch mit schlechten und schlecht bezahlten Stellen finden sich immer mehr Menschen ab.


Langzeitarbeitslose: Sechs Millionen Empfänger von Hartz-IV-Leistungen erhalten monatlich fünf bis acht Euro mehr. Der Regelsatz eines Single wird von 374 auf 382 Euro angehoben (+ 2,1 Prozent). Partner eines Hartz-IV-Empfängers bekommen 345 Euro (plus 8 Euro), Kinder bis sechs Jahre erhalten 224 Euro (plus 5 Euro), Kinder von 7 bis 14 Jahren 255 Euro (plus 6 Euro) und Jugendliche zwischen 15 und 18 Jahren kriegen 289 Euro (plus 6 Euro).

So kam es zu Hartz IV

Soziale Abfederung des gesellschaftlichen Wandels

Die Probleme auf dem Arbeitsmarkt waren 2002 unübersehbar: Der Sockel der Langzeitarbeitslosen verfestigte sich, die damalige Bundesanstalt für Arbeit arbeitete mit geschönten Zahlen, die Experten waren zerstritten und Altkanzler Schröder war nicht sicher, ob er es ein zweites Mal als Kanzler schaffen würde. Da kam einer, der erfolgreich die Arbeitslosigkeit bei einem Automobilkonzern bekämpft hatte. In der Autostadt Wolfsburg. Peter Hartz  versprach die Halbierung der Arbeitslosigkeit innerhalb von nur zwei Jahren in ganz Deutschland. Mal ehrlich. Jede/r Bundeskanzler/in hätte die Chance ergriffen. Doch die Realität sieht heute bei genauer Analyse anders aus.

   Globalisierung und deren Folgen sind unverkennbar, aber nicht umkehrbar, beinhalten Risiken, aber auch neue Chancen. Wie müssen die Sicherungssysteme der Zukunft beschaffen sein, damit der gesellschaftliche Wandel sozial abgefedert wird? Wie sehen die Erwerbsverhältnisse im 21. Jahrhundert aus, wie die sozialen Beziehungen? Das auf Normalarbeit und Vollerwerbsbiographie ausgelegte System der Sozialen Sicherung steht vor großen Herausforderungen.

Die Agenda 2010 veränderte die deutsche Sozialpolitik

Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) erklärte am 14. März 2003 vor dem Deutschen Bundestag, »Wir werden Leistungen des Staates kürzen, Eigenverantwortung fördern und mehr Eigenleistung von jedem Einzelnen abfordern müssen«.
    Die Zusammenlegung von Arbeitslosen- und Sozialhilfe auf einem niedrigeren Niveau zu Hartz IV wurde mit Flexibilisierung des Arbeitsmarkts, der Senkung der Lohnnebenkosten, der Liberalisierung der Zeitarbeit und Lockerung des Kündigungsschutzes kombiniert. Außerdem führte die rot-grüne Regierung für die gesetzlich Krankenversicherten eine höhere Selbstbeteiligung ein, etwa mit der Praxisgebühr.

    Lichtjahre sind wir von einem Jobwunder entfernt. Gesellschaft und Arbeitswelt verändern sich rasant. Unbeständige Arbeitsformen, Einkommensarmut und Zukunftsängste wachsen - Mängel und Irrtümer des Systems der sozialen Sicherheit in Deutschland sind unübersehbar. Der harte Kern der Arbeitslosigkeit bleibt. Der Dschungel aus Kombilohn und Bedarfsprüfung wird nicht lichter, sondern dichter. EU-weite soziale Initiativen tragen dazu bei, die Idee der bedarfsunabhängigen Existenzsicherung massenwirksam und damit politikrelevant zu verbreiten.

 

Nur noch jeder dritte Arbeitslose hat Anspruch auf die Versicherungsleistung des Arbeitslosengeldes I. Der Grund: Die Zahl der Kurzzeitbeschäftigten hat sich vervielfacht - Dank Liberalisierung des Arbeitsmarktes. Schlimm ist, dass die Menschen das sozio-kulturelle Existenzminimum verlieren.

 

Die Machtbalance zwischen Kapital und Arbeit hat sich verschoben

Nicht nur die Konzerne, auch Klein-und Mittelbetriebe profitieren von den Arbeitsmarkt- und Sozialreformen. Ideologiefreudige Ökonomen und Verfechter der Hartz-Agenda feiern den steigenden Druck auf die Löhne. Lohndumping macht deutsche Waren im Ausland billig und im Inland arm. Gewinne wachsen indes rasant. Aber machen Niedriglöhne fit für die Zukunft?

   Damals unterstützten CDU/CSU und FDP als Opposition einen großen Teil der Agenda 2010. Die Mehrheit der Ökonomen und Wirtschaftsjournalisten glaubte an die positive Effekte für die Beschäftigung. Die massiven Einschnitte in den Sozialstaat riefen in der SPD, bei den Grünen und jedoch zu heftigen Kontroversen. Überall wurde gegen die Agenda 2010 in »Montagsdemonstrationen« demonstriert. Die Partei Die Linke entstand und Rot-Grün wurde abgewählt.

Ist Hartz IV gescheitert? Vielleicht waren die Absichten ehrlich und nur die Umstände schlecht. Vielleicht sähe es ohne Hartz IV heute schlimmer aus. Vielleicht besser oder anders?

Das Anliegen von "Hartz plus"

ist es, auf Fehler und Versäumnisse der Hartz-Reformen hinzuweisen und Selbstverständliches einzufordern - ein soziokulturelles Existenzminimum ohne Arbeitszwang.

   Was war das Anliegen der Reformen? Die Agenda 2010 war ein Anpassungsversuch an neue Realitäten. Sozial- und Lohnkürzungen sollten den Standort Deutschland international wettbewerbsfähig machen. Europäische Reformansätze dienten als Muster und ein Automobilmanager spielte eine besondere Rolle. Mit dem ehemaligen VW-Manager Peter Hartz werden drei Reform-Vorstöße assoziiert: die VW-Tarifmodelle, die Hartz-Kommission und die Hartz-Gesetze. Zunächst stießen die Hartz-Vorschläge im Mai 2002 auf Wohlwollen - endlich geschah etwas gegen die Arbeitslosigkeit. Der Stillstand war unübersehbar. Die Wissenschaft war zerstritten, die damalige Bundesanstalt für Arbeit durch den Statistik-Skandal gelähmt, die Bundestagswahl stand 2002 vor der Tür.

   Kern der Agenda war Hartz I bis IV. Das Reform-Ergebnis ist ernüchternd. Die Integration von Arbeitslosen- und Sozialhilfe (Grundsicherung Hartz IV) hat viele Menschen auf Sozialhilfeniveau degradiert und in Existenznöte gebracht. Chancengerrechtigkeit geht anders!

 

Ein schlechtes Gesetz wird schlecht umgesetzt.

Mit Hartz IV sollte alles einfacher werden. Die Zusammenlegung von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe sollte die Bürokratie straffen und arbeitslose Menschen besser und schneller wieder in Arbeit bringen. Anspruch und Wirklichkeit klaffen auseinander.

   Es entstand ein bürokratisches Monstrum. Ein Großteil der Bescheide sind falsch. Vor den Sozialgerichten der Bundesrepublik sind zahllose Klagen anhängig und erfolgreich. Juristen haben Arbeit, können die Klagewut kaum bewältigen. Von Vereinfachung keine Spur.

"Was tun die Behörden gegen Hartz-IV-Schnorrer?"

Es geht auch anders: Alternativen zu Hartz

Agenda 2020?
Agenda 2020?

"Wenn ich groß bin, werde ich Harz IV", lautet das Ergebnis einer Allensbach-Studie. Demnach glauben 55 % der aus einfachen Verhältnissen stammenden Menschen unter 30 Jahren nicht, dass ein Aufstieg aus einfachen sozialen Schichten möglich ist. Das Elternhaus spielt bei den Aufstiegschancen eine viel größere Rolle. Über ein Drittel der Gesamtbevölkerung glaubt überdies nicht, dass sich Leistung auszahlt. In Schweden dagegen glauben 61 Prozent an bessere soziale Chancen.

 

Alternative zu Hartz IV: Garantiertes Mindesteinkommen 

 

Das Bundesverfassungsgericht hat nachvollziehbare Regelsätze verlangt (9. Februar 2010). Transparenz darf nicht durch immer neue Winkelzüge hintergangen werden. Wie sollte die sozialverträgliche Brücke zwischen Erwerbsarbeit und Erwerbslosigkeit beschaffen sein? Mein Vorschlag ist ein garantiertes Mindesteinkommen zusammen mit einem gesetzlichen Mindestlohn. Damit könnten Menschen schlechte oder schlecht bezahlte Jobs ablehnen und für bessere Arbeit sorgen. Nur durch Existenzsicherung ist die Lohnspirale nach unten aufzuhalten. Und mal ehrlich: Billiglöhne helfen weder der Wirtschaft, noch dem Staat und den Arbeitslosen ohnehin nicht.

Hartz Reformen und die Alternativen

Ob Peter Hartz gute oder schlechte Absichten hatte, lässt sich nicht einfach klären. Er wurde von Bundeskanzler a.D. Gerhard Schröder 2002 ernannt, den Arbeitsmarkt zu reformieren. Kritik erntete Hartz sowohl von Arbeitsloseninitiativen als auch vom heutigen Bundespräsidenten Christian Wulff (CDU). Die Niedersachsen-CDU ließ damals nichts unversucht, die Gewerkschaftsmacht bei VW zu brechen und die SPD-Funktionäre zu entmachten.

    Peter Hartz gibt heute selbst zu, das Versprechen die Zahl der Arbeitslosen innerhalb von nur zwei Jahren zu halbieren, war ein Fehler. Heute sei dieses Ziel nicht nur erfüllt, sondern übererfüllt. Stimmt das? Peter Hartz sagt außerdem, Verarmung sei nicht sein Ziel gewesen. Der Regelsatz sollte nach seinen Vorstellungen damals 511 € betragen. Es waren dann erstmal 345 € (heute: siehe oben).

 

Auf den folgenden Seiten gehe ich den harten Fakten nach.